Texte
(Hahn, Brooks, Meilchen)
Write your abstract here.Wirklich spannende Kunst ist nurmehr abseits der Studioscheinwerfer zu finden. Künstler wie Peter Meilchen, Heimo Hieronymus, Tom Täger, Holger Benkel, Francisca Ricinski, A.J. Weigoni pflegen die Kunst des Möglichen ? desjenigen Möglichen, das Wirklichkeit werden kann. Man muß sich im sogenannten ?gut sortierten Buchladen? genau umsehen, um auf solche Perlen, wie Margit Hahns "Totreden" zu stoßen. Seit Beginn der 1990-er Jahre bereitet die Wienerin Margit Hahn den LeserInnen mit ihren bösten Geschichten über die Krone der Erschöpfung Vergnügen. Nachdem Sie in den frühen Büchern die Spielarten des Sex, bzw. das Nichzustandekommen beschrieb, widmet sie sich nun dem Leben der Angestellten. In "Totreden" gibt es keine Handlung, es gibt keine Hauptfigur, die zur Identifikation einlädt. Von Moral und Parteilichkeit und Volksverbundenheit kann nicht einmal im Ansatz die Rede sein, ganz im Gegenteil: Hier ist das Ungezügelte am Werk, der freie Gedankenstrom, die literarischen Verweisspiele und Binnenräume. Alle paar Seiten wechselt die Atmosphäre, wechseln die Figuren. Margit Hahn arbeitet behutsam und präzise wie mit einer Lupe, und so gelingt es ihr, unscheinbare Augenblicke zu seelischen Szenarien zu öffnen. Das Buch handelt nicht nur von den Abgründen der Globalisierung, es ist mit einer hingebenden Aufmerksamkeit geschrieben, die genau diesen Namen verdient. Eine ähnliche Qualität beweißt der neue Roman von Patricia Brooks. Was wie ein Roadmovie beginnt, endet für Richard und Gloria bereits nach einem Kapitel in einem einsamen Haus auf dem Land. Nicht nur die Geschichte ist rasant, auch die Sprache hält sich nicht mit überflüßigen semantischen Verzierungen auf. In besagtem Landhaus treffen die Flüchtigen auf ihr Spiegelbild, die Geschwister Clarissa und Phillip. Im Sog dieser hypnotischen Prosa entwickelt sich zwischen den Wahlverwandten ein Kammerspiel. Patricia Brooks zeigt die räumliche Enge, die stickige Luft des Lebendig?Eingemauert?Seins. Zu der Charakteristik eines literarischen Tabus zählt die aktive Einhegung des Themas, hier wird sie forciert betrieben. Unlängst verkündete die sogenannte Pop?Literatur das gesellschaftliche Ende von Schuld und Scham, damit solle dann auch das Grübeln als Ursprungsgestus des Erzählens zugunsten eines lockeren Plaudertons überwunden werden. Dieser fröhliche Unschuldszustand ist freilich nicht jeder Autorin vergönnt, die heute schreibt; besonders dann nicht, wenn ihn biografische Umstände fast zwangsläufig vor die alten Fragen nach Sinn und Gerechtigkeit zitieren. Patricia Brooks lässt in ihrem »Garten der Geschwister« ganz eigene Blumen des Bösen wachsen, bis diese Schlingpflanzen unentwirrbar ineinander verwachsen sind. Ihr Roman ist ein atemberaubender Text über das Befangensein in alten Strukturen, auf der Täter? und auf der Opferseite. "Du schreibst das Leben", hat Veza Canetti 1948 ihrem Mann Elias geschrieben, "aber wenn Du lebst, verschreibst Du Dich." Das eigene Leben ist kein Nachschlagewerk, in dem man nach Belieben herumblättert, kein fertiges Manuskript, das man jederzeit veröffentlichen kann! Veza Canetti nimmt damit das postmoderne Konzept einer Autorschaft vorweg, demzufolge der Schriftsteller nicht mehr zu schreiben hat, sondern sich schreiben läßt. Peter Meilchens Kunst ist die literarische Negativ? und Doppelbelichtung. Gestochen scharf wirken seine imaginären Erinnerungsbilder aus Linz am Rhein, doch pulst in ihnen auch der Schrecken. Seine skeptisch?ironische Weltsicht einerseits, sein poetisches Engagement anderseits bringen viele Werke hervor, die verschiedene Positionen beziehen. Sowohl als bildender Künstler, wie auch als Autor ist Peter Meilchen ein Beobachtungsvirtuose, der viele Preziosen zu bieten hat, Wahrnehmungen, die vielleicht nicht unbedingt lebenswichtig sind, aber gerade in ihrer Fokussierung des Nebensächlichen dem Leser Aha?Erlebnisse und Wiedererkennungseffekte verschaffen. Er nimmt sich und seinen Figuren kein Blatt vor den Mund, die Brutalitäten in Wort und Bild können uneingeschränkt defilieren. Auch das gehört spätestens seit Rabelais zur Lust am Grotesken, dieses destruktiv?schöpferische Sich?gehen?Lassen, die verbale Ausschweifung. Reich an Adjektiven, an Partizipien und an sich windenden, immer in neue Ecken spähenden Sätzen sind diese ausgefeilten Stücke. Vor allem Farbeindrücke nehmen darin breiten Raum ein. Zwischen Schwarz und Grün bewegt sich eine »Beobachtung eines Unsichtbaren«. Die Rückkehr ins Rheinland steht bei »Schimpfen« im Zeichen von Gelbtönen, die so schnell vom Satt?Schönen ins Erdige umschlagen. Und natürlich geht es bei »Texte«, die so intensiv und bilderreich das Ineinandergreifen von gegenwärtigen und vergangenen Sinneswahrnehmungen ausleuchtet, auch um die Augenblicke, da das Wahrnehmen in das Verlangen umschlägt, das Wahrgenommene schreibend zu fixieren. Peter Meilchen porträtiert in seinem Werk eine untergehende Welt ? und überwand sie. Opulenz, Würde und Gesellschaftsanalyse verbindet er wie kein anderer. Wer von seinem Leben erzählt, erzählt immer eine Erfolgsgeschichte. Wer erzählt, lebt. Schon das ist ein Triumph. Wer erzählt, ist der geworden, der erzählen kann. Wer erzählt, ist nicht allein. Er gehört in eine Welt, die seine Welt geworden ist. Ganz auf die Ablagerungen der eigenen Biographie setzend und ohne Attitüde benennt Peter Meilchen so die Quelle seiner reichen und doch nie vagen »Texte«. Das Raffinement der Überraschung besteht bei Peter Meilchen in der Handhabung letzter Sätze zunächst anschaulich?deskriptiver Textstücke, die sogar durch Trivialismen den Leser noch mehr jeder Erwartung aufs Außerordentliche entwöhnen. ?Man muss Geschichten hören. Es ist angenehm und macht einen manchmal besser?, heißt es im »Mahabharata«. Seitdem hat sich viel geändert, aber wenig getan, deshalb kann das Erzählen auch nicht aufhören. Eine Hörprobe der »Texte«. findet sich unter: www.hoerspiel-labor.de Margit Hahn, "Totreden", erschienen im Verlag Skarabæus Patricia Brooks, "Garten der Geschwister"", erschienen im Verlag Molden
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