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Abgesang Auf Einen Gebißträger
(GraSS)

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Die Aufarbeitung der Geschichte ist schwierig, das Aufarbeiten der
dunklen Seiten der Geschichte, der eigenen Schande, der persönlichen
Schuld und Unterlassungen, der Verwicklungen der einzelnen Menschen ist
ein wichtiger Teil der nationalen Abrechnung... Der Gewissensbiss, der
GraSS seit seinem Einsatz in der SS-Panzerdivision "Frundsberg" gequält
haben mag, hat GraSS nicht nur als Grundtatsache seines literarischen
Werkes verwendet, sondern als moralischen Blasebalg - damit hat er den
Lesern Deutschen seit mehr als einem halben Jahrhundert Feuer gemacht.
Was seine Literatur und seinen moralischen Appell für lange Zeit so
verführerisch machte, war, dass beide durch die Person des Autors
beglaubigt schienen. Kein anderer deutscher Autor hat seine
Vergangenheit, seine geschichtlichen Erfahrungen und seinen
persönlichen Lernprozess scheinbar so kompromisslos ins Licht der
Öffentlichkeit gezerrt wie GraSS. Verwerflich ist, dass GraSS in der
Pose des selbstgewissen und von Eitelkeit nicht freien Moralisten
versucht aus seinem Schuldgeständnis ein ästhetisches Kapital zu
schlagen.

Der moralische Rigorismus des GraSS, den es zur Elite der Barbarei
getrieben hat, zur SS?Division "Frundsberg", offenbart sich in diesem
Licht als Ersatzhandlung, seine Polemiken zielen nicht allein 'auf die
Sache', sie speisen sich aus verschwiegener Scham und Schuld. Diese
Prätorianer?Garde gehörte ursprünglich nicht zur Wehrmacht, sondern
bildete eine durch extreme Härte und Rücksichtslosigkeit ausgezeichnete
Einheit der nationalsozialistischen Partei, die das Standardwerk von
Bernd Wegner als "Hitlers politische Soldaten" bezeichnet. Es war
folgerichtig, dass er zur Waffen-SS gelangte. Für Naturen wie ihn, die
von sexueller Frustration, Sozialneid, Ressentiment und seelischer
Unempfänglichkeit geprägt waren, wurde sie erfunden. Die islamischen
Terror-Kommandos dürften sich aus ähnlich gearteten Jungmännern
rekrutiert haben. Wie GraSS die letzten Kriegswochen erlebt hat, daran
kann er sich angeblich nicht erinnern: "Aber dann reißt der Film. Sooft
ich ihn flicke und wieder anlaufen lasse, bietet er Bildsalat." Das
sind rührend hilflose Ausdrücke für einen Mann, dem es sechzig Jahre
lang über Zehntausende von Seiten niemals an Worten gefehlt hat. man
merkt diesen Zeilen förmlich an, dass sie nichts mit literarischer
Insuffizienz, sondern schlichterdings mit dem Mangel an Courage zu tun
haben. Das Problem ist nicht, das sich GraSS in seiner penetranten
Selbstgerechtigkeit moralisch zu einem überdimensionalen Ochsenfrosch
aufgeblasen hat, sondern auch, dass sich die BRD?Intelligenzia darin
wiedererkannt hat. GraSS pflegt eine demonstrative Unbedarftheit, die
in einem irritierenden Kontrast zu seiner politischen Bescheidwisserei
steht. Der politisierende und nicht selten polternde Literat ist in
seiner plump moralisierenden Grobschlächtigkeit schwer erträglich. Zu
dieser Selbstgerechtigkeit des nahezu unheilbar guten Gewissens passt
die späte Offenbarung gar nicht. Nun ist die Blase geplatzt und sieh
"Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch."

Sich selbst als Fremden zurüsten, um aus der Distanz zu sehen und - im
Idealfall besser - zu urteilen, das ist kein volkstümliches Verfahren.
Wohl aber ein bevorzugtes Autorenverfahren, seit Anbeginn der Moderne.
"Ich ist ein anderer", heißt es bei Rimbaud. Doch GraSS entpuppt sich
überdies auch als schlechter Autor. Der häufige Gebrauch von
entpersönlichten Infinitiv? und Adverbialformen, die an den
Stossseufzer des alten Goethe erinnern, man werde sich doch langsam
selbst historisch. Eine Sprache, die tänzelt und nicht tanzt, die
zwischen Benennen und Umschreiben schwankt, und Manierismen zur
Auflockerung braucht. Zu Zeiten der Gruppe 47 schwieg GraSS und log,
und damals, in den Zeiten des ideologischen Furors war das schlau. Er
wollte nicht zugeben, dass er sich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet
hatte, siegeshungrig, minderjährig, besoffen vonoebbelsschen Phrasen,
ein todessüchtiger, dummer Junge. Auf zum letzten Gefecht. Er wäre
plötzlich mit seinem Feindbild verschmolzen. Zwischen Fakten und
Fiktion gibt es, wo ein erinnerndes Subjekt ins Spiel kommt, keine
klare Grenze; diese Erkenntnis hat schließlich einen ziemlich langen
Bart. Das hindert ihn aber nicht daran, mit großem metaphorischem
Tamtam genau daraus die künstlerische Form seines Buches zu gestalten.
Es erweist es sich, dass aus dem belehrenden Moralisten ein moralischer
Frisör geworden ist.

Es ist eine Übersprungshandlung, einen solchen moralischen Anspruch zu
erheben. Den Anspruch, für alle zu sprechen. Man kann sich derart weit
aus dem Fenster lehnen, dass man die schwarze Uniform nicht mehr sieht.
Psychologisch bleiben es zwei Welten: Der Komplex ?moralische Instanz?
ist eine politisch-intellektuelle Leistung. Die so genannten 68-er, die
versuchen die Nazi-Zeit aufzuarbeiten tun sich durch einen ungeheuer
moralischen Anspruch hervor. Die Flakhelfer-Generation, die sich gern
als skeptische bezeichnen ließ, hat mit moralischem Rigorismus ein
Tribunal errichtet, um diejenigen abzuurteilen, die erstmals und
hartnäckig nach der Rolle der Eliten wie des Jedermann in der Nazi-Zeit
gefragt haben. Sie haben früh gelernt, sich in einem historischen Raum
von Uneindeutigkeiten und Ungewissheiten zu bewegen. Das hat ihre
Skepsis so klein und präzise und ihre Haltung so bedingungslos und
unnachgiebig gemacht.

GraSS hat sich sein Lebtag lang mit dem erinnern auseinandergesetzt.
Eine zentrale Rolle spielte dabei immer die Erinnerung an die Nazizeit.
Er hat über seine Mitgliedschaft in der Waffen?SS nicht geschwiegen,
weil er sie vergessen hatte, sondern weil er entschieden hatte, darüber
zu schweigen. Einem Schriftsteller, der berechtigterweise die
Gesellschaft häufig mit scharfer Kritik belegt hat und der nicht selten
Kollegen und Politiker mit Blick auf ihren Umgang mit der Vergangenheit
öffentlich gegeißelt hat, hätte mit dem Cowboy und dem dicken
Oggersheimer Bittburg besuchen müssen. Wer sein Leben aufschreibt, muss
zwei Entscheidungen treffen: Wie will ich mich erinnern. Wen will ich
erinnern. Für das ?Wie? hat Grass das Bild von der Zwiebel gewählt.
?Wenn ihr mit Fragen zugesetzt wird, gleicht die Erinnerung einer
Zwiebel. Unter der ersten, noch trocken knisternden Haut findet sich
die nächste, die, kaum gelöst, feucht eine dritte freigibt, unter der
die vierte, fünfte warten und flüstern. Und jede weitere schwitzt zu
lang gemiedene Wörter aus, auch schnörkelige Zeichen, als habe sich ein
Geheimniskrämer von jung an, als die Zwiebel noch keimte, verschlüsseln
wollen.? Letztlich zeigt sich an diesem Fall der Selbstdemaskierung,
dass eine Zwiebel keinen Kern hat.

Matthias Hagedorn



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